Eigentlich ist man ja als Fotograf nicht unbedingt ein Mann des Wortes, dennoch möchte ich auf diesem Wege ein wenig zu dem beitragen, was man im weitesten Sinne als Verständnis für das vorliegende Fotomaterial bezeichnen könnte. Ich möchte Sie keinesfalls mit all dem langweilen, was man in verschiedenen Hotelzimmern wärend einer Reise vorfindet… oder eben nicht, wie unfreundlich das Personal wieder war, wie unerfreulich der Kaffeegenuss, wie braun genau das Wasser aus der Leitung kam, wie sehr einen die Flatulenz ereilte, wie wenig und schlecht englisch ein Taxifahrer sprach, der steif und fest behauptet hat, es zu sprechen, warum es in manchen Ländern wärmer ist als in Anderen und wie man sich so fühlt in einer Unterkunft ohne Strom bei Kerzenlicht und der verdammte Computer funktioniert nicht… all das ist privat und demzufolge irrelevant, es sei denn, es dient dem Verständnis des schon erwähnten Materials. Mir ist natürlich klar, dass die Aufmerksamkeitsspanne eines heutigen Menschen im Berufsleben ungefähr bei 15 sec endet, jener kann dann hier aufhören zu lesen und sich Bilder angucken.
Für alle Anderen werde ich kurz umreißen, was sie sowieso schon sehen… nun denn: Möge Gott Ihnen allen gnädig sein (haha kleiner Scherz)!
Der Nachteil, wenn man die Menschen überall auf der Welt für gleich hält – was sie auch sind, nur mit unterschiedlichen Nuancen – ist, dass jedes Land, das man bereist, fast schon automatisch eine Art Kulissenhaftigkeit annimmt, die dazu führen kann, dass man bei der Begehung eines besonders beeindruckenden Tempels nicht etwa sagt ‘Wahnsinn! Das kann ja gar nicht wahr sein!’, sondern eher dazu neigt ‘Wahnsinn! Das kann ja wohl nicht Ihr Ernst sein!’ zu sagen. Man merkt sofort, dass das Leben der Menschen vor Ort einer Normalität folgt, die man selbst zu Hause zur Genüge hat.
Nichtsdestotrotz ist es für einen mitteleuropäischen Fotografen immer wieder überraschend, dass es auf der Welt Menschen gibt, die sich gern von Fremden fotografieren lassen… und dabei lächeln! Zu Hause ist man ja doch eher mit Personen konfrontiert, die glauben, dass man jedes Bild, das von ihnen gemacht wird, direkt an den Geheimdienst weiterleitet, der dann Unaussprechliches damit vorhat, was offenbar der extremen Wichtigkeit ihrer eigenen Person und natürlich des Wissens um diese Wichtigkeit geschuldet ist… und dann möchten sie diskutieren… (Brechen wir diesen kleinen Exkurs hier besser ab, denn in dieser Richtung liegt der Wahnsinn!)
Ich würde gern sagen, Thailand befindet sich im Umbruch zur Moderne und kann im eigentlichen Sinne nicht mehr als Land der dritten Welt bezeichnet werden, muss hier jedoch anführen, dass der Umbruch fast gänzlich vollzogen ist. Unter anderem kann man es daran festmachen, dass dort ausgesprochen sichtbar sehr viel Geld umgesetzt wird. Noch deutlicher macht sich das im Besonderen an der Schere zwischen Arm und Reich fest, die sich hier, wie überall auf der Welt, immer weiter spreizt. Dennoch scheinen Arm und Reich in so etwas wie Eintracht und direkter Nachbarschaft zu coexistieren, was natürlich nur augenscheinlich so ist, denn kein armer Slumbewohner ist gern ein Solcher, ganz egal, wo auf der Welt er sich befindet und besonders nicht, wenn er jeden Tag den Reichtum der Anderen an sich vorbeiziehen sieht. Und kein Reicher sieht gerne, wenn er aus der Haustür seines Luxusapartements tritt, welchen Umständen er seinen Reichtum zu verdanken hat. Vielleicht irre ich mich aber auch mit dieser Einschätzung und ein Reicher sieht es eigentlich doch ganz gern, dass die armen Schweine, vor seiner Haustür, auch weiterhin arm bleiben! Hmmm? Da ich nicht reich bin, kann ich das nicht genau beurteilen. Naja, jedenfalls: Ein gesellschaftliches Aufbegehren gegen diese Unstimmigkeit ist jedoch nicht abzusehen, da der Einzelne in erster Linie damit beschäftigt ist, sich selbst reich zu machen und nur der jeweilig niedrige Bildungsstand, die Herkunft, der Mangel an Eigenkapital und natürlich die herrschende Elite sie daran hindert, es zu werden. Der offensichtlichste Eindruck, den man von Thailand erhält, ist wohl der, dass die Bevölkerung im Grunde davon lebt, sich gegenseitig etwas zu Essen zu verkaufen. Praktisch jeder scheint damit beschäftigt zu sein, oder er ist ein Mönch, oder er rennt einfach hin und her. Ach ja das Hinundhergerenne…! Hinundherrennen ist wirklich eine sehr beliebte Beschäftigung, … oder er behauptet Englisch zu sprechen und spricht es dann doch nicht, oder wenn doch, kann man es nicht verstehen und bei erneuter Nachfrage fängt er schlimm an zu nuscheln. Echt deprimierend! Aber das ist natürlich nur eine kleine Aufzählung von Klischees – wie die meisten Klischees jedoch mit einem wahren Kern.
Eines wird für einen Fotografen in Thailand überdeutlich; wenn man ein paar gute Fotos vom “normalen”*, wahren Leben in Thailand schießen will, und damit meine ich Fotos, auf denen viele Thailänder, wenig Touristen und – wenn möglich – keine Attraktionen für eben Diese zu sehen sein sollten, muss man sehr früh aufstehen. In Bangkok z.B. ist es am besten, sich in der Früh um 05:00 Uhr aufzumachen und bis zu – und einschließlich – 07:00 Uhr in den Straßen herum zu treiben. Dann schlurfen die buddhistischen Mönche herum und sammeln ihr Essen für den Tag bei den gläubigen ein, das Verkehrschaos ist zurückhaltend erträglich und Details treten sehr viel deutlicher in den Vordergrund. Leider habe ich es nie geschafft, so früh aufzustehen. Deswegen kann ich auch mit Fug und Recht behaupten, jede andere Zeit ist in jedem Fall die falsche. Dieses aus einem einfachen Grund: Man kann Thailand eigentlich nur noch so erleben, wie es ist; ein Land, das die persönliche Vorstellungskraft enttäuscht, weil diese sich weigert die gegebene Realität anzuerkennen; und das ist ein Land das aus eigenem Antrieb zu einem Disneyland für Bagpacker und Sextouristen geworden ist. Das alles funktioniert nach einem einfachen Prinzip: Angebot und Nachfrage bestimmen den Markt.
Deshalb bin ich auch so dankbar für das einzige rein thailändische Erlebnis, mit dem ich hier aufwarten kann, weil es wirklich das einzige mal war, dass ich nur mit Einheimischen zu tun hatte. Es verschlug mich nach Samut Songkhram. Ein Ort ca. 80 km westlich von Bangkok. Da befindet sich einer der größten Tagesmärkte Thailands. Die beste Möglichkeit dort hin zu gelangen, ist es mit dem Zug zu fahren. Es ist vorteilhaft, wie oben schon erwähnt, das sehr früh zu tun. Allerdings sollte man es während der Fahrt vermeiden, sich aus dem Fenster zu lehnen, da die Wellblechhütten, Terrassendächer, sinnlose Betonpfeiler und Imbissküchen bis ca. 2 cm vor das Zugfenster gebaut wurden. Und wenn Bangkok dann endlich hinter einem liegt, versucht Dir Vegetarisches den Kopf vom Hals zu reißen. Wenn Sie sich aber von mir nichts vorschreiben lassen möchten, sammeln Sie doch bitte ihre eigenen Erfahrungen. Aus denen soll man ja angeblich klug werden. Ich möchte allerdings annehmen, dass die aus der Erfahrung resultierende Klugheit eine sehr beglückende Erfahrung in der Art ist, dass sie ihre Würze aus der Kürze bezieht. Man fährt vorbei an Salzfeldern, Palmengärten, Slums, Teichen und Kanälen auf denen Lotus oder Wassersalat geerntet wird und erhascht manchmal kurze Einblicke in das Leben derer, an denen man vorbei ruckelt und zuckelt, mit Krach-Bumm-Peng als Begleitung. Dummerweise bin ich erst gegen 08:30 Uhr in Bangkok aufgebrochen (hatte mich verlaufen… ist mir nicht peinlich!) und dementsprechend gegen 09:30 Uhr angekommen… eindeutig zu spät! Zu diesem Zeitpunkt haben die Händler den Großteil ihrer Wahre schon an den Mann oder die Frau gebracht. Das heißt, das ohnehin schon beeindruckende Schauspiel, mit dem Zug in einen von Menschen überfluteten Markt einzufahren, wäre noch um einiges beeindruckender gewesen. Aber, um ganz ehrlich zu sein, war es das auch so. Man fährt über die Auslage der Händler, die für jeden ankommenden oder abfahrenden Zug ihre schirme zusammenklappen, oder sie zur Seite tragen müssen.
Die Kunden drängen sich in die Nischen zwischen den Ständen und warten, bis die Schienen wieder frei sind. Es gibt von unglaublich ekligen Hünerembryonen über Frösche, Fleisch, Früchten und Gemüse bis hin zu frittierten Insekten und getrocknetem Fisch mit Marmelade alles zu kaufen, was man essen und, je nach Metabolismus und Robustheit des eigenen Verdauungssystems, früher oder später wieder ausscheiden kann. Es war wirklich ein Erlebnis dessen vollständige Beschreibung sich leider meiner Fähigkeit zur vollständigen Beschreibung entzieht… Höchstwahrscheinlich deswegen ist man als Fotograf kein Mann des Wortes.
Lasst Bilder sprechen!
*normal in Anführungsstrichen, weil die eigentliche Normalität inzwischen nur noch ein heilloses Durcheinander ist und man verzweifelt nach ‘authentischen’ Bildern eines echten Thailand sucht, das es so nur in Reiseprospekten, dem eigenen Wunschdenken, an sehr abgelegenen Orten, oder in den Anfängen der Fotografie gibt. Die Globalisierung hat auch hier heftig zugeschlagen und Thailand dem Rest der Welt angeglichen.